Arden Hall--Wege des Herzens by julia Schreiber

Autor:julia Schreiber [Schreiber, Julia]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-7325-9826-7
Herausgeber: beHEARTBEAT
veröffentlicht: 2020-12-11T00:00:00+00:00

9

Wie ihre Schwester Carrie hatte auch Josephine Carmichael als Kind viel Zeit bei ihren Paten auf Highbridge verbracht. Sowohl ihre Mutter Anne als auch ihr Vater Stephen bevorzugten das Leben in London. Doch für Kinder hatte der Aufenthalt auf Highbridge einige Vorteile. Neben der auf dem Lande gedeihlicheren Luft war das vor allem das stetere Personal: Sybil wählte gewissenhaft Kindermädchen, Gouvernanten und Hauslehrer aus, die dann meist für etliche Jahre blieben. So waren neben ihren eigenen fünf Kindern und dem Ziehsohn Barnaby auch Carrie und Joey in den Genuss einer vorzüglichen Bildung gekommen. Nicht Teil dieses Bildungsplans waren die Bücher gewesen, die sich die heranwachsende Josephine regelmäßig von ihrem sieben Jahre älteren Cousin Barnaby ausgeborgt hatte, als dieser sein medizinisches Studium in Oxford aufgenommen hatte.

Als er sie zum ersten Mal dabei antraf, schalt er sie streng: »So etwas sollte ein junges Mädchen nicht lesen!«

»Warum nicht?«, fragte Joey, die bei aller standesgemäßen Erziehung durch Sybils Vasallen auch einige Lektionen von ihrer Mutter verinnerlicht hatte.

»Weil ... es nichts für Mädchen ist«, sagte Barnaby und spürte selbst, wie schwach dieses Argument war. Also schloss er so arrogant wie möglich: »Erstens bist du zu jung, um das zu verstehen, und zweitens ist das mein Buch!«

Dieser verwandtschaftliche Zwist zog sich über die nächsten Jahre hin, und es mag durchaus sein, dass Joeys Interesse für medizinische Themen durch Barnabys Tabuisierung noch befeuert wurde. Auf jeden Fall fand er sich bei jedem Ferienaufenthalt einem wissbegierigen jungen Mädchen gegenüber, das ihn zu seinem Studium, zu den einzelnen Wissensbereichen und zu öffentlich diskutierten neuen Methoden Löcher in den Bauch fragte. Erst widerwillig, später amüsiert beantwortete er die Fragen seiner Cousine.

Also hätte es ihn nicht überraschen dürfen, als Joey ihn eines Tages – er war zu dieser Zeit bereits fertiger Arzt – aufsuchte und eine letzte Frage stellte: »Barnaby, was muss ich tun, um auch Medizin zu studieren?«

Er tat sein Möglichstes, um ihr diesen Gedanken auszureden. Doch Joey war sehr hartnäckig. Also beschloss er, ihr wider seine eigene Überzeugung den Gefallen zu tun: Er schrieb an denjenigen Professor, der ihm stets am aufgeschlossensten erschienen war, und bat darum, ihm seine Cousine vorstellen zu dürfen.

Der Professor, ein gewisser James McAdam, hatte Barnaby Colstone in guter Erinnerung. Er willigte ein und lud die beiden zu einem kurzen Gespräch einige Zeit vor Beginn des neuen Studienjahres ein. Höflich begrüßte er Miss Carmichael und stellte ihr dann die üblichen Fragen, die er einem Studienanwärter zu stellen pflegte: zu Schulfächern und –noten, mathematischen und naturwissenschaftlichen Gegenständen und fachlichem Vorwissen. Dann lehnte er sich zurück.

»Junge Dame, ich muss sagen, ich bin durchaus beeindruckt. Ganz zweifellos haben Sie ein scharfes Auffassungsvermögen und eine gute Vorbildung. Dennoch, Medizin können Sie nicht studieren.«

»Warum nicht?«, fragte Joey, die kerzengerade dasaß.

»Frauen sind in Oxford nicht zum Medizinstudium zugelassen, und dafür gibt es gute Gründe.«

Sie hob die Augenbrauen. »Welche Gründe sind das?«

»Ich will gerne einräumen, dass es dann und wann auch weibliche Wesen gibt, deren Intelligenz dafür ausreichend wäre, die Theorie zu lernen. Vielleicht wäre das bei Ihnen der Fall. Aber ein Frauenzimmer, gleich wie klug es sein mag, ist dem Medizinstudium einfach nicht gewachsen.

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